14. September 2024 22:00

Legalisierungsdebatte in den USA Werben um den Cannabis-Wähler

Vorteil für Kamala Harris?

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Roman Barkov / Shutterstock USA: Immer mehr Bundesstaaten legalisieren Marihuana

US-Präsidentschaftswahlen werden bekanntlich in den sogenannten Swing States entschieden, also Bundesstaaten, in denen traditionell ein knapper Ausgang zwischen Demokraten und Republikanern zu erwarten ist. Die eigene Basis ist in solchen Staaten meist leichter zu motivieren, da dort große Summen für den Wahlkampf ausgegeben werden, während in „sicheren Staaten“ fast überhaupt kein Wahlkampf stattfindet. Spätestens dann, wenn die jeweils eigene Basis ausgeschöpft ist und die Umfragen immer noch ein enges Rennen signalisieren, kommen die Independents ins Spiel: unabhängige, parteiungebundene Wähler und Wechselwähler. Was diese Gruppe denkt, welche Anliegen ihr mehrheitlich wichtig sind und wie sich diese Wählergruppe am besten gewissen lassen, sind Fragen, die die Wahl entscheiden und auf die die jeweiligen Kampagnen Antworten finden müssen. 

Dabei sticht ein Thema heraus, das früher für erbitterte Schlagabtausche zwischen Demokraten und Republikanern gesorgt hat: die Entkriminalisierung von Cannabis. Hier herrscht auf einmal große Einigkeit, die sicher auch mit den Präferenzen der Unabhängigen zu erklären ist. 70 Prozent dieser Gruppe befürworten laut einer Gallup-Umfrage die völlige Legalisierung von Cannabis auch auf Bundesebene. Auch in den meisten Swing States sind diese Zahlen ähnlich.  

Die Kandidaten beider großer Parteien haben sich in der Vergangenheit im Umgang mit Gras nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Während Kamala Harris’ Amtszeit als Distrikt-Staatsanwältin von San Francisco erreichte ihre Behörde die Verurteilung von 1.900 Menschen wegen cannabisbezogenen Verstößen gegen Drogengesetze. Und auch als Justizministerin Kaliforniens gab sich Kamala als harter Hund im Kampf gegen die Drogen, bevor sie 2018 erstmals ihre Position änderte und sogar zugab, selbst in ihrer Studentenzeit Gras konsumiert zu haben. 

Donald Trump befürwortete im Wahlkampf 2016 zwar, dass die einzelnen Staaten über die Marihuana-Freigabe entscheiden sollten, warnte aber gleichzeitig vor dem angeblich düsteren Beispiel Colorados seit der dortigen Freigabe 2012. Und unter seinem Justizminister Jeff Sessions wurde der kalte Krieg gegen Cannabis für ein paar Monate wieder zu einem ziemlich warmen, was angesichts des Legalisierungsstands in den einzelnen Staaten ziemlich aus der Zeit gefallen wirkte. 

Doch nun scheinen beide Kandidaten einig darin, dass die Cannabis-Gesetze auf Bundesebene zu restriktiv sind. Bereits vor einiger Zeit hatte Harris gefordert, Cannabis komplett von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Damit geht sie weiter als die Administration, der sie als Vizepräsidentin angehört. Die Biden-Regierung strebt lediglich eine Neueinordnung von Cannabis als Schedule-3- statt wie bisher Schedule-1-Droge an. Statt mit Heroin soll Cannabis demnach also künftig in eine Kategorie mit Ketamin fallen. Das hat weder etwas mit Entkriminalisierung noch mit gesundem Menschenverstand zu tun. 

Doch Unterstützung dafür kommt ausgerechnet von Donald Trump, der ausdrücklich keine Legalisierung auf Bundesebene verspricht. Gleichzeitig ließ Trump erstmals seine Sympathie für Legalisierungsbemühungen in einem Bundesstaat erkennen. Er wolle im November in seinem Heimatstaat Florida für Amendment 3 stimmen, mit dem Cannabis im Sunshine State für den Freizeitkonsum freigegeben werden soll. Florida wäre damit der 25. Staat, der Cannabis für Erwachsene ohne medizinische Vorbedingungen legalisiert. Nur um sich vor Augen zu führen, was die Konsequenz von Trumps Position wäre: Ein Kiffer soll Trump zufolge unbehelligt in seinem Bundesstaat Gras rauchen dürfen, aber sobald er, selbst mit Kleinstmengen, einen Flughafen betritt oder sich sein Weed per Post schicken lässt, soll er weiterhin eine Anklage und im Zweifel Gefängnis fürchten müssen.

Also ein Vorteil von Harris beim Kampf um ungebundene Wähler? Da bin ich skeptisch. Dass über zwei Drittel der Unabhängigen die Legalisierung unterstützen, sagt noch nichts darüber aus, wie wichtig ihnen das Thema ist. Wer in den USA Gras rauchen will, hat keine Probleme, einen Ort für sich zu finden, wo er dies legal oder zumindest gefahrlos tun kann, denn immerhin fast die Hälfte der Bundesstaaten haben den Freizeitkonsum legalisiert. Dazu kommt, dass auch einzelne Countys in Staaten, wo es eigentlich verboten ist, Cannabisbesitz oder -konsum lediglich als Ordnungswidrigkeit behandeln. Am Ende werden für die Menschen der Erhalt ihres Arbeitsplatzes und der Zustand der Wirtschaft viel wichtiger bei der Wahlentscheidung sein. Die Rechnung ist ganz einfach: Auch der leidenschaftlichste Kiffer braucht Geld, um sich sein Gras leisten zu können, und dafür braucht er wiederum Arbeit. Vielleicht auch deswegen setzt Harris seit Kurzem in der Sache andere Akzente. In ihrem jüngsten Positionspapier fehlt ihr Bekenntnis zur Freigabe auf Bundesebene völlig. Für mich ist das kein Zeichen, dass sie zurückrudern will (was angesichts der überwältigenden Zustimmung in der eigenen Partei auch weder möglich noch klug wäre), sondern dass sie den Fokus auf Themen abseits der Drogenpolitik setzen möchte. 

Harte Faktoren wie Wirtschaft und Arbeitsmarkt sind zumindest der Erfahrung nach bei Präsidentschaftswahlen viel entscheidender als weiche Themen wie Abtreibung oder Drogenpolitik. Allerdings ist Cannabis innerhalb des Agrarsektors ein Industriezweig mit beachtlichen Wachstumszahlen. Fast eine halbe Million US-Amerikaner arbeiten in der Cannabis-Industrie, davon jeder Achte im Swing State Michigan – Tendenz landesweit steigend. 23.000 Jobs kamen allein im vergangenen Jahr dazu. Ob diese Leute selbst Gras konsumieren, spielt keine Rolle, solange sie ihre Brötchen damit verdienen. Einen restriktiveren Kurs wie unter Sessions werden diese Menschen nicht unterstützen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Rescheduling-Debatte betrachtet werden. Die Schedule-1-Kategorie spricht einer Substanz (anders als Schedule 3) jeden medizinischen Nutzen ab, was im Falle von Cannabis nicht nur völlig absurd ist, sondern vor allem die Forschung und Entwicklung erschwert. Für den einzelnen Konsumenten ändert das Rescheduling aber erst mal wenig, da sollte sich niemand Sand in die Augen streuen lassen.

Meint Kamala es ernst mit der Legalisierung? Die Tatsache, dass unabhängig von der Cannabis-Politik der kommenden Administration die Uhren landesweit auf fünf vor 4:20 Uhr stehen, hat wenig mit politischen Entscheidungen zu tun, die die Popularitätsexplosion von Cannabis quer durch alle gesellschaftlichen Schichten doch nur noch nachvollzogen haben. Die Angstrhetorik von früher zieht nicht mehr, einfach weil zu viele Menschen eigene Erfahrungen mit Gras gemacht haben, die sich ganz offensichtlich nicht mit Nancy Reagans Gruselpropaganda der 80er Jahre decken. Am Ende dieser Dekade wird Cannabis in allen 50 Bundesstaaten legal sein. Für Amerikas Politiker bleibt nur noch die Frage, ob sie auf den fahrenden Zug aufspringen oder ihm hinterherwinken wollen.


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