Zensur und Kontrolle: Wozu überhaupt Meinungsfreiheit?
Die wahren Gründe für ihre Einschränkung
von Stephan Unruh
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Verfolgt man die Diskussionen, wie sie derzeit allerorts in Sachen Rede- und Meinungsfreiheit geführt werden, so könnte man auf die Idee kommen, dass Meinungs- wie Redefreiheit nette Nebenprodukte freiheitlicher Gesellschaft seien, aber ansonsten keine weiterführende Bedeutung hätten. Vielmehr scheinen sie im Zeitalter von sozialen Medien mehr und mehr zu einem Problem zu werden, weil plötzlich jeder Depp seine Meinung ungefiltert mit (theoretisch) gewaltiger Reichweite in die Welt hinausposaunen kann. Was früher halt nur drei andere Deppen am Stammtisch hörten, kann jetzt die ganze Welt hören und – wenn unter Umständen der richtige Ton getroffen wird – damit in Resonanz gehen. Auf die Art und Weise könnte also ganz schnell eine Gesellschaft unterhöhlt werden, Parallelgesellschaften entstehen und „Hass und Hetze“ auf fruchtbaren Boden fallen – und plötzlich steht Putin am Rhein. Daher: Wehret den Anfängen und kontrollieret (und gegebenenfalls sanktionieret), was wer wann wo und wie über den Äther beziehungsweise die sozialen Medien kommuniziert. So in etwa lautet zumindest die gängige Argumentation zumeist linker Regierungen – egal, ob in Brasilien, den USA oder der EU. Aber selbstredend kontrollieren und zensieren Chinas Kommunisten das Netz genauso wie Russlands Nationalisten.
Tatsächlich ist der Gedankengang auf den ersten Blick ja auch nicht ganz falsch. Der Blödsinn, der über Youtube, Telegram und Co tagein, tagaus kommuniziert wird, ist für einen Menschen mit gesundem Menschenverstand und einem etwas überdurchschnittlichen Bildungsgrad, insbesondere in Mathematik, Physik und Chemie, nur schwer zu ertragen. Eratosthenes rotierte sicher im Grab ob des Umstandes, dass die Flachwelttheorie Millionen von Anhängern rund um den Globus hat – und die Typen gehören vermutlich noch zu den harmloseren. Im Netz kann man erfahren, dass es noch vor 200 Jahren eine gewaltige Zivilisation namens Tartaria gegeben habe, die weite Teil Asien beherrscht habe und durch den Ausbruch von Schlammvulkanen untergegangen sei, dass ein Hämatit auf der Stirn Kopfschmerzen beseitige, dass die Welt knapp 6.000 Jahre alt sei, dass Putin oder Biden (je nach Perspektive) Friedensfürsten seien, dass 5G ein milliardenfaches Vogelsterben verursache, dass man Geld ohne Ende und ohne Konsequenzen drucken könne („New Monetary Theory“), dass Beethoven schwarz war und dass es tatsächlich 736 ½ Geschlechter gebe.
Warum diesen Schwachsinn nicht unterbinden?
Und was Hass und Hetze betrifft: Es in der Tat schwer erträglich, zu sehen, zu hören oder zu lesen, wie gegen die Anhänger des mohammedanischen Todeskults wie auch gegen übergewichtige Parteichefinnen oder gegen jene Querdenker, die eine unerprobte Gentherapie verweigern, gehetzt wird … Warum nicht auch hier der Sache einen Riegel vorschieben?
Wer nun darauf hinweist, dass ja immer nur die eine Seite „weggeriegelt“ werden soll, bei unseren „Hass- und Hetze“-Beispielen also der schlechte Hass gegen Mohammedaner oder Ricarda Lang, hingegen der Hass auf die Gentherapieverweigerer der guten Sache diene und entsprechend nicht sanktioniert werde, der hat zwar recht, argumentiert aber am Kernproblem vorbei. Das Pendel des Zeitgeistes hat vielleicht bereits den höchsten Punkt erreicht und beginnt nun langsam zurückzuschwingen … In ein paar Jahren steht die Macht wieder auf der anderen Seite und dann werden eben andere Aspekte von Hass und Hetze beziehungsweise Fake News sanktioniert. Dann beklagt sich die andere Seite über Benachteiligung in Zensurfragen. Es sollte also spätestens hier auch den etwas schlichteren Geistern offenbar werden, dass nicht die Unausgewogenheit der Zensur das Problem ist, sondern die Zensur selbst.
Warum? Weil man nicht weiß, was guter oder schlechter Hass ist, und weil es keine objektive Oberinstanz gibt, die dies korrekt festlegen könnte? Oder weil man in vielen Fragen, also jenseits von Schlammvulkanen und 736 ½ Geschlechtern, tatsächlich nicht sicher weiß, was die Wahrheit ist? Ja, es stimmt beides – bedenken Sie, dass unser heutiges Wissen immer nur der aktuelle Stand des Irrtums ist und man in 40, 50 Jahren sicherlich Tränen über eben dieses damalige (Un-) Wissen lacht. Aber auch dies sind allenfalls nur Nebenaspekte, wobei letzterer dem Kernaspekt, wieso und weshalb wir Meinungsfreiheit brauchen, schon deutlich näherkommt.
Das eigentlich Entscheidende an der Meinungsfreiheit und der Grund, weshalb sie unbedingt vollumfänglich erhalten bleiben muss – trotz all der Spinner und Quacksalber, die auf ihrer Welle surfen: Sie ist das ultimative und im eigentlichen Sinne einzige Kurskorrekturinstrument, über das wir verfügen. Nur wenn in einer Gesellschaft offen und frei über was auch immer diskutiert werden darf und kann (wobei man sich für Dispute à la „Beträgt die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad?“ nicht allzu viel Zeit nehmen sollte), können wir als Gesellschaft feststellen, ob wir auf dem richtigen Kurs sind. Das gilt selbstredend nicht nur für Gesellschaften als Ganzes, sondern ebenso für all ihre Teilbereiche und besitzt natürlich auch innerhalb von Familien, Unternehmen und Partnerschaften Gültigkeit.
Der eigentliche Aufstieg des Abendlandes begann im Jahr 1662, als der englische König Karl II. dem am Gresham College Astronomie lehrenden Christopher Wren ein Privileg aussprach und der von ihm zwei Jahre zuvor ins Leben gerufenen „Colledge for the promoting of Physico-Mathematicall Experimentall Learning“ eine königliche Charter verlieh. Zentraler Aspekt dieser Charter war: „Nullius in verba‘“. Man sollte sich nicht auf das Wort von irgendwem verlassen (das bezieht sich natürlich auch und gerade gegen das Wort der Bibel, auf dessen Basis Galileo Galilei noch ein paar Jahre zuvor verurteilt worden war), sondern alles, was auch immer der jeweilige Gegenstand war, experimentell nachprüfen – dies bedeutet auch, dass es einem eben erlaubt war, alles zu sagen, was sich experimentell belegen ließ.
Damit war die moderne Wissenschaft geboren und daraus entwickelte sich der ganz große Unterschied zwischen dem Abendland und dem Rest der Welt: Selbst dem absolutesten Monarchen konnte sich die Wissenschaft mit den entsprechenden Argumenten entgegenstellen (und tat dies auch!). Genau hierin liegt die Ursache, weshalb das Abendland in den folgenden 400 Jahren den Rest der Welt in jeder Hinsicht und auf jedem Gebiet abhängte. Während in China am Ende nur das Wort des Kaisers und im Osmanischen Reich nur das Wort Allahs zählten, galten ab 1662 zunächst in England und dann mehr und mehr auch im restlichen Europa nurmehr nach- beziehungsweise überprüfbare Fakten. Damit ging mittel- und langfristig eben auch die Macht des Staates und der Herrscher zurück. Nicht mehr nur im naturwissenschaftlichen Bereich wurden Vorgaben vermeintlicher Autoritäten hinterfragt, sondern auch in anderen Bereichen: Kunst, Recht, Unternehmertum, Bürgerschaft. Sapere aude!
Das ist auch der wahre Grund, weshalb auch und gerade die Gesellschaftsklempner in der „westlichen“ Welt heute so entschieden die Meinungsfreiheit bekämpfen. Sie wollen die Kontrolle zurückgewinnen. Die Plandemie hat es klar gezeigt – wenn es gelingt, gegenteilige Meinungen und kritische Stimmen auszuschalten, dann lässt sich eine Gesellschaft binnen kürzester Zeit in den Totalitarismus führen. Deshalb konzentrieren sich jene, die tatsächlich kommunistische Putschisten sind, so stark auf die Zensur und deshalb ist der Kampf um die Meinungsfreiheit der wichtigste und elementarste. Seit dem Kauf von X durch Elon Musk scheint es, als verlören sie (die kommunistischen Putschisten) diesen Kampf. Tun wir also alles in unserer Macht Stehende, dass es tatsächlich so kommt. Es steht nicht weniger als das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel.
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