Top Spin: Das echte Sommermärchen: Die EM ist ein Fußballfest
Wie Publikum und Mannschaften die Politisierung weggrätschen
von David Andres
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Sie haben ja alles versucht. Schon wieder. Die Eröffnungsfeier der Fußball-Europameisterschaft am 14. Juni trieb zunächst vor Fremdscham viele Hände auf die Gesichter. „Was ist das?“, fragte man sich, als Hunderte quietschbunt gekleideter Tänzer einen Reigen aufführten, den man so vielleicht aus Waldorfschulen oder seltsamen Selbstfindungs-Seminaren kennt. Nun, was war es? Eine plakative Versinnbildlichung des „bunten“ Deutschlands, unterstrichen von Moderator Oliver Schmidt mit einem Satz, der seither auch schon wieder ein Mem geworden ist. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sagte er nach der Eröffnung, während die deutsche Nationalhymne spielte, und ergänzte den Satz um die Worte: „… und vor allem Vielfalt.“
Doch einen Schritt zurück. Da organisiert man einen Reigen bunter Tänzer und drückt zudem dem Publikum jede Menge bunter Pappen in die Hand, um eine Choreografie der Vielfalt auch durch die Ränge laufen zu lassen… doch das scheitert daran, dass die Fankurve der schottischen Nationalmannschaft den Mummenschanz einfach nicht mitmacht. Schließlich trägt, begleitet von den Ex-Nationalspielern Bernard Dietz und Jürgen Klinsmann, die Witwe von Franz Beckenbauer, Heidi Beckenbauer, den Pokal in das Stadion und sendet ihrem Mann und unserem Kaiser einen Kuss in den Himmel.
Und zack.
Alles Peinliche, alles Bemühte, das ganze inszenierte Vielfaltstheater weicht augenblicklich einem Moment echter Rührung. Mir selbst stehen jetzt schon wieder die Tränen in den Augen, als ich diese Zeilen schreibe. Es kann keinen größeren Kontrast zwischen hölzerner Politisierung des Sports und echter Emotion geben als diesen Kipppunkt zwischen Ende der Eröffnung und Anfang der EM mit diesem Augenblick der persönlichen Ehrung.
Seither erleben alle, die noch ein klein wenig am Fußball hängen, ein unerwartet großartiges Fest des Fußballs. Niemand kniet vor Anpfiff auf dem Rasen wie noch bei den letzten Turnieren, um einer post-marxistischen Bewegung in den USA zu huldigen, die so tut, als ginge es ihr um das Wohlergehen der Schwarzen. Von ein paar Scharmützeln zwischen Serben und Engländern abgesehen, veranstalten die Gast-Fans aus den Niederlanden, aus Schottland oder aus Albanien großartige Feste auf den Straßen der austragenden Städte. Die Mannschaften, alle Mannschaften, spielen einen entweder famosen oder zumindest kämpferischen Fußball – als wollten sie mit jedem Pass und jedem Zweikampf ausdrücken, wie geil es ist, ein Fußballturnier in einem Fußball-Land zu spielen statt irgendwo in den Fantasiestädten der Scheiche und Wüstenmogule.
Und unser Team? Unsere Fans?
Auch wenn es mir als Libertärem egal sein sollte, sehe ich mit Freude, wie jeder Spieler mit Inbrunst die Hymne singt und tatsächlich die Leistung abruft, die in ihm steckt. Wie zumindest in den ländlichen Gefilden Flaggen vor den Häusern hängen, die teilweise absurde Größe annehmen und damit eine sympathische Renitenz gegen den staatlich verordneten Selbsthass ausdrücken. Ich sehe einen Trainer, der Fußball liebt und lebt und ein Gebilde rund um ihn und das Team, das ganz offenbar jede weitere Politisierung von sich weist und auch über die umstrittenen Auswärtstrikots nur als auffällige Mode redet und nicht als gesellschaftliches Diversity-Statement.
Auch wenn sie alles versuchen. Wenn die Mediatheken der Öffis voll sind mit Dokumentationen über die Vielfalt im Sport und „Das letzte Tabu“, die Homosexualität im Fußball. Auch wenn der Zwischen-Spot der Sender bei den Partien vom körperlich behinderten Spieler bis zum Kopftuchmädchen das gesamte Diversity-Bingo so plakativ durchspielt, dass es bei Monthy Python als Satire gemeint wäre.
Nein, die Fans feiern ein Fest und die Sportler „spielen’s einfach Fußball“ – wie der Kaiser es gewollt hätte.
Quellen:
Hymnen-Umdichtung bei EM-Eröffnungsspiel - Vielfalt, Vielfalt über alles (JF)
Emotionale EM-Eröffnung: Beckenbauer-Witwe grüßt Franz (Sportschau)
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