27. August 2024 16:00

Schamlosigkeit einer Innenministerin Das inszenierte neue Normal

Die unselige Allianz der Verächter von Freiheit und Recht

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Shutterstock Pressefreiheit und Rechtsstaat brennen: Verantwortliche Regierungspolitiker juckt das nicht

Die Weimarer Republik wird im historischen Rückblick gerne als „Demokratie ohne Demokraten“ wahrgenommen und daraus die Ursache ihres letztlichen Scheiterns abgeleitet. Ob dies so zutrifft und insbesondere den Kern ihres Problems ausmachte, das zu ihrem Ende führte, darüber kann man sicher diskutieren. Das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland wird in der Formel der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ ausgedrückt. Was es mit dem Begriff des „Demokratischen“ auf sich hat, darüber herrscht nach 75 Jahren nunmehr allgemeine Verwirrung und tiefe Verunsicherung.

Die Interpretationen reichen von „Die Mehrheit wählt Leute, die darüber entscheiden, was der Einzelne tun und lassen und wie der Staat ihn plündern darf“ bis hin zu „Man muss die Opposition endlich verbieten, um die Demokratie zu retten“. Einige wenige Außenseiter behaupten gar, dass ein Volk am besten über sich herrsche, indem jeder für sich selbst Verantwortung übernähme, während der Staat ihn möglichst in Ruhe lasse. Ob die Bundesrepublik Deutschland nun an viel zu vielen oder viel zu wenigen Demokraten leidet, lässt sich daher wirklich schwer beurteilen. Dafür kann man sehr genau sagen, woran sie scheitert, wenn nicht bereits gescheitert ist: An immer weniger Leidenschaft für eine (überwiegend) freiheitliche Grundordnung; an einer weit verbreiteten Geringschätzung von Freiheit und Recht. Dass diese Geringschätzung am höchsten in den Schaltzentralen der Macht ist, kann nicht überraschen. Das war und ist zu allen Zeiten und allen Systemen so. Die Schamlosigkeit, mit der man diese Geringschätzung zum Ausdruck bringt, zeigt, wie tief sie auch im Umfeld der Macht und in dem ihn stützenden Apparat verbreitet ist. Ob sie auch entsprechend breit in der Bevölkerung verankert ist, kann deutlich schwieriger eingeschätzt werden und sich insbesondere unter Druck auch schneller zum Positiven verändern, als man es in den Schaltzentralen absehen kann.

Bereits bei Bekanntwerden des Verbots des „Compact“-Magazins inklusive Verlag wurden allgemeine Zweifel von namhafter juristischer Seite hinsichtlich der Rechtmäßigkeit mit Verweis auf die Pressefreiheit erhoben. Als nun das Bundesverwaltungsgericht am 15. August diese Zweifel in einer Eilentscheidung teilte und das Verbot bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren kippte, war offenkundig, dass Innenministerin Nancy Faeser mit ihrer selbstherrlichen Entscheidung („Ich [sic!] habe … verboten“) den verfassungsgemäßen Bogen überspannt hatte. Unter uns: Es war sicher nicht das erste Mal. Dass sie daraus nicht die Konsequenzen ziehen will, liegt im Selbstverständnis von Politikern. Dreist behauptete sie: „Es ist ein ganz normaler Vorgang in einem Rechtsstaat, dass man vor Gericht mal bestätigt wird. (…) Jetzt haben wir in Teilen mal verloren.“

Falsch. Der Vorgang ist nicht normal, und es ist erschreckend, dass in den Hauptstrommedien solche Äußerungen einer Regierungspolitikerin einfach so hingenommen und ihr nicht bis zum Rücktritt um die Ohren gehauen werden. Noch vor 30 Jahren (ich wähle den zeitlichen Abstand lieber vorsichtig) wäre das eine unausweichliche Konsequenz gewesen.

In einer Gesellschaft, die ein gemeinsames Grundverständnis von Freiheit und Recht als nicht verhandelbare Werte eint, wird von Angehörigen der Exekutive, ob Regierung oder Verwaltungsapparat, als selbstverständlich erwartet, dass sie sich alle Mühe geben, im Rahmen des staatlich gesetzten Rechts zu handeln. Fehler können in einem leidlich funktionierenden System auf juristischem Weg behoben werden. Absolut nicht hinnehmbar ist aber ein Agieren nach dem Motto: „Mal sehen, ob wir damit durchkommen.“ Je höher das zu schützende Rechtsgut, und die Pressefreiheit steht verfassungsrechtlich ziemlich weit oben, desto höher die Erwartung an die Vorsicht im Umgang mit ihm.

Darüber sollte allgemeiner Konsens bestehen – wenn nicht, ist das „Gemeinwesen“ bereits am Ende.

Faeser ist nach dem Rezept sozialistischer Putschisten vorgegangen: Ein bewusster, gezielter Rechtsbruch mit begrenzten Konsequenzen für sich selbst und die eigene Sache, um mit einer Duldung oder eingeschränkten Folgen künftig erweiterte Handlungsspielräume zu ermöglichen, die zuvor undenkbar waren. Die formale Rücknahme des Verbots in einer Eilentscheidung war sicher als möglich, vielleicht sogar als wahrscheinlich kalkuliert. Der weitere Zugriff auf die konfiszierten Daten und Kommunikationsinhalte sind davon nicht betroffen – ein großer Erfolg für die Methode des Rechtsbruchs durch eine Regierung: Fakten schaffen. Das maoistische Zeichen gegen die Pressefreiheit ist gesetzt – bestrafe einen, erziehe tausend. Die Rücktrittsforderungen sind verhalten und nicht durchsetzungsfähig – der Medienapparat ist unter Kontrolle. Auch wenn es im Hauptsacheverfahren, das sich über zwei Jahre hinziehen kann, eine endgültige juristische Niederlage gibt, wird dies – gähn – keine Folgen für die Ministerin haben, denn dann wird sie mit Sicherheit ohnehin nicht mehr im Amt sein. Alles offenkundig wohl kalkuliert: Eine eindrucksvolle Demonstration der Verachtung von Freiheit und Recht, die der aktuellen Regierung und ihren Nachfolgern Mut machen wird für weitere Schritte zur Machtausweitung.

In unserer libertären Szene gibt es eine Neigung, von der ich selbst nicht frei bin, solche Vorgänge mehr oder weniger schulterzuckend als Bestätigung des eigenen Weltbilds hinzunehmen. Ich halte das für gefährlich. Klar, der Staat ist eine Räuberbande und Regierungsangehörige handeln kriminell – wo ist die Neuigkeit? Aber es gibt eben doch qualitative Unterschiede. Sie sind in der Verbreitung und Akzeptanz von Freiheit und Recht als verbindliche Werte begründet, wenn auch das Verständnis davon einer gewissen Spannbreite unterliegt, insbesondere wenn es um den Staat selbst geht. Je höher die Erwartungen und die Wertschätzung von Freiheit und Recht in der Bevölkerung eines Staatswesens, desto weniger kann sich der Staatsapparat zu deren Einschränkung erlauben; umso mehr müssen seine Akteure wenigstens formal und leidlich glaubwürdig ihren Respekt bekunden und werden sich entsprechend verhalten – und im Zweifel zurückhalten. Freiheit und Recht als im Bewusstsein allgemein verankerte und respektierte Grundwerte begrenzen die Staatsmacht wirkungsvoller als eine formale Gewaltenteilung. Darum werden sie von machtorientierten Akteuren auch bevorzugt denunziert und pervertiert. Ist ein Staatsapparat allerdings einmal zur Dominanz gewachsen und hat es dabei geschafft, den wesentlichen Teil der Medien unter Kontrolle zu bekommen, unterliegen seine Akteure einem Informationsbias und täuschen sich systematisch über die tatsächliche Geringschätzung von Freiheit und Recht und die ihnen daraus erwachsenden Handlungsspielräume.

Wo die Verachtung von Freiheit und Recht zum Ausdruck kommt, muss also stets darauf hingewiesen werden, um die Sensibilität der Menschen für den Widerspruch zu stärken. Das transportierte Selbstbild des Staates ist das des Garanten für Recht und wenigstens relativer Freiheit. Wir müssen daher jedes Mal den Finger in die Wunde legen, wenn offenkundig das Recht durch staatliche Akteure gezielt gebrochen wird, um zu sehen, was geht. Dies muss immer scharfe Empörung hervorrufen und darf nie resignierend hingenommen werden. Die Stärkung von Recht und Freiheit als Werte ist die Grundlage für das Scheitern ihrer Verächter.


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