„Bundeszentrale für Politische Bildung“ und Friedrich-Ebert-Stiftung: Akute Angst vor der Freiheit
Der Libertarismus wird für die „Elite“ ungemütlich
von Robert Grözinger
Vor zwei Jahren tauchte in den Buchhandlungen ein Werk mit einem seltsamen Titel auf: „Gekränkte Freiheit – Aspekte eines libertären Autoritarismus“. Ich schöpfte damals einen Verdacht. Nachdem dann Freiheitsfunken-Kollege Stefan Blankertz dieses Buch von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in einer Artikelserie in Grund und Boden besprochen hatte, fand ich meinen Verdacht bestätigt und veröffentlichte bei Freiheitsfunken einen Kommentar dazu, in dem ich schrieb:
„‚Gekränkte Freiheit‘ ist kein seriöses Werk. Es scheint, als sei sein Zweck, als propagandistische Munitionsaufstockung in Reserve zu dienen. Sollte der Libertarismus für die Elite materiell ungemütlich werden, hoffen ihre Propagandisten offenbar, dieses scheinseriöse Buch hervorkramen und irgendetwas daraus zitieren zu können, die Autoren zu Interviews einzuladen und so mit vielen pseudointellektuellen Aussagen die steigende Flut freiheitlicher Gesinnung zurückzudrängen.“
Jetzt scheint dieser Moment gekommen zu sein. Wie Freiheitsfunken-Kollege Michael Werner in seinem Artikel von heute morgen berichtet, hat die „Bundeszentrale für Politische Bildung“ vor wenigen Wochen eine Serie gestartet, die dieses fabelhafte Oxymoron-Monster „libertärer Autoritarismus“ zum Thema hat. Die Serie ist noch nicht beendet, also warten wir mal ab. Ich will hier nur vom Anfang des ersten Teils berichten sowie von einer weiteren Quelle dieser Serie.
Im Intro dieser Folge erzählt uns der Autor Steffen Greiner, dass er gerade in Zinnowitz auf der Insel Usedom sei und an der Seebrücke dort in die Tauchglocke gehen wird. Warum er da ist? In der Inhaltsangabe heißt es: „Auf dem Meer kann man die Freiheit finden, im libertären Sinn. Auch im autoritär-libertären? Zumindest ist das so in Theresia Enzensbergers Roman ‚Auf See‘, der von einem fiktiven Mikrostaat auf der Ostsee handelt. Tessniem und Steffen treffen Theresia in Berlin und hören von der Philosophie von Ayn Rand und wie Realpolitik diese Gedanken aufgreift.“
Und warum ist der Serienautor, von hunderten Seebädern an der deutschen Ostseeküste, ausgerechnet in Zinnowitz? Das erfahren wir in dem Teil nicht. Auch nicht im zweiten Teil. Aber es gibt ja noch weitere Teile, die ich noch nicht gehört habe – teilweise, weil sie noch nicht veröffentlicht sind. Vielleicht erfahren wir da des Rätsels Lösung, ob die Tatsache, dass sich in Zinnowitz jährlich die deutschsprachige libertäre Szene trifft, ein Zufall ist.
In der ersten Episode wird aus einem Kapitel einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) vom vergangenen Jahr zitiert. Sie lautet: „Die distanzierte Mitte – Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23“. Der Titel jenes Kapitels daraus lautet: „Entsicherte Marktförmigkeit als Treiber eines libertären Autoritarismus“.
Auch die Autoren jenes Kapitels – Eva Groß, Andreas Hövermann, Amelie Nickel – orientieren sich stark am Werk von Amlinger und Nachtwey. Sie postulieren ein „Krisenerleben“ aufgrund der „zunehmend brüchig“ werdenden „neoliberalen Leistungsgesellschaft“. Während manche sich „enttäuscht von den neoliberalen Idealen abwenden“, gebe es auch eine andere Reaktion: „Andererseits könnten gerade Personen, die sich in hohem Maße mit unternehmerischen Tugenden wie Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit, Individualität, Innovation und Wettbewerbsorientierung identifizieren, ‚gekränkt‘, ‚beschämt‘ und mit ‚Groll‘ erfüllt reagieren, wenn sich die Versprechen von Wohlstand und Aufstieg für sie nicht mehr zu erfüllen scheinen, so unsere These.“ Wobei sie hinzufügen, dass die verwendeten Emotionsbegriffe „aus einer emotionssoziologischen Perspektive als analytische Kategorien zu verstehen“ seien „und nicht als individualpsychologische, wertende Beschreibungen“.
Die Gefahr, die sie – wiederum in Anlehnung an das gründlich widerlegte Werk von Amlinger und Nachtwey – sehen, erwachse daraus, dass die von der Krise Betroffenen ihre „aggressiven Energien“ nicht direkt „gegen den angeblichen Auslöser – die neoliberale Gesellschaft – richten, da die Identifikation mit entsprechenden Leitbildern und die Angst vor Beschämung zu groß“ seien, „so eine weitere Annahme.“
Wie auch bei Amlinger und Nachtwey hätte ein Nachfragen bei den Libertären für Aufklärung gesorgt. Libertäre sehen mitnichten im „Scheitern“ des „neoliberalen Gesellschaftsmodells“ den Grund für ausbleibenden oder geminderten Wohlstand. Jedenfalls nicht so, wie die Autoren das „neoliberale Gesellschaftsmodell“ verstehen. Wohlstand ist für Libertäre ohnehin eher zweitrangig. In erster Linie „grollen“ sie einem Staat, der der Freiheit – wenn man so will, dem „neoliberalen Gesellschaftsmodell“ – keine ausreichende Chance gab und es trotz aller Versprechen der vergangenen vier oder fünf Jahrzehnte immer weiter erwürgt, erdrosselt, fesselt und drangsaliert. Literatur dazu gibt es hinlänglich. Stichwort: Österreichische Schule der Ökonomie. Man muss sie nur lesen – und verstehen – wollen.
Stattdessen kommen des Staates pseudointellektuelle Apologeten daher und behaupten, die Freiheit sei gescheitert, es brauche noch mehr Staat. Ihnen schließen sich jetzt direkt oder indirekt von Steuergeldern finanzierte Akademiker an und wollen den Libertären erzählen, dass sie aus „Scham“ ihre „Aggression“ nicht gegen die Freiheit richten, sondern gegen „Ersatzobjekte“ – zu letzteren gleich mehr.
Die FES-Autoren postulieren einfach, ohne Belege, dass es ein Zuviel an Freiheit gab oder gar immer noch gibt. Aus diesem unausgesprochenen Märchen leiten sie die Schlussfolgerung ab, dass die Libertären einfach zu doof seien, das zu erkennen, oder eben zu „beschämt“, das zuzugeben. Zwischenbemerkung: Sie sagen nicht „die Libertären“, sondern „entsichert Marktförmige“ und meinen damit offiziell mehr als nur die Libertären, mehr dazu unten.
Deswegen treten nun diese „autoritär-libertären“ „aggressiv“ auf. Und zwar gegen „Repräsentationen des Staates“ – „Politiker ebenso wie gesellschaftliche Institutionen oder gar das etablierte politische System als Ganzes“. Was an Kritik an Politikern und gesellschaftlichen Institutionen oder am etablierten politischen System prinzipiell problematisch ist, erklären die Autoren nicht. Wo und wie die Libertären „aggressiv“ auftreten, auch nicht.
Nun zu den anderen „Ersatzobjekten“: „Zum anderen entlädt sich der Groll auf als ‚fremd‘ markierte Gruppen, beispielsweise personifiziert als Geflüchtete, insbesondere aber auch auf Minderheitengruppen wie wohnungslose oder langzeitarbeitslose Personen, die vermeintlich den Normen der unternehmerischen Erfolgs- und Leistungsgesellschaft nicht entsprechen. Hier bildet sich auch die Grundlogik des Populismus ab.“
Entweder können oder wollen – oder vielleicht dürfen – die Autoren nicht erkennen, dass Libertäre sich nicht an Menschen in diesen Gruppen als solche abarbeiten. Sie können, wollen oder dürfen offenbar ebenfalls nicht erkennen, dass Libertäre das verstärkte Auftreten dieser Gruppen als Zeichen des Staatsversagens und Zivilisationsverfalls erkennen und begründet erklären können. Vermutlich können, wollen oder dürfen sie das nicht, weil sie als Autoren einer von einer parteipolitischen Stiftung, also von Steuergeldern finanzierten Studie, Teil des Problems sind.
Der Rest des Kapitels ist ein aufwendiger klassischer Kontaktschuld-Trick. Eine dort zitierte Studie zeige „ein klares Bild der besonders hohen Zustimmung zu den fokussierten libertär-autoritären Einstellungen unter entsichert Marktförmigen.“ Diese „entsichert Marktförmigen“ stellen nach Vorstellung der Autoren eine Art Kapitalismuspräkariat dar – Menschen, die aufgrund der Krisen aus einer leistungsorientierten Lebensbahn geworfen wurden, oder sich von einer solchen Entwicklung bedroht fühlen. Unter diesen Menschen gebe es auch solche mit „rechtsextremen“ Einstellungen. Und zwar überdurchschnittlich.
So eine Überraschung aber auch: Ein Staat, dessen Institutionen und Leitmedien seit vielen Jahren auf links gepolt sind, findet unter Menschen, die ihm mit „Groll“ begegnen, in überdurchschnittlichem Maße solche, die rechtsextreme Einstellungen haben. Das haben die Autoren dann so formuliert, dass Mittelstrommedien daraus eine undifferenzierte Gemengelage aus Rechtsextremismus und Libertarismus fabulieren können.
Im Englischen gibt es den Spruch: „When you’re getting flak, you’re over the target.“ Es ist offenbar soweit. Aber es gibt Gegenmittel, zum Beispiel hat Stefan Blankerz seine Kritik am Amlinger-Nachtwey-Buch inzwischen erweitert und als Buch herausgegeben, siehe Link unten.
Quellen:
Die herrschende Klasse hat Angst vor dem Entstehen einer libertären „kritischen Masse“ (Robert Grözinger, Freiheitsfunken, 6.2.2023)
Looking for Freedom – Eine Reise in die radikalisierte Freiheit (Podcasts der „Bundeszentrale für politische Bildung“)
Die distanzierte Mitte, Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (PDF; hier: Kapitel 8: Entsicherte Marktförmigkeit als Treiber eines libertären Autoritarismus, Seiten 243 bis 257.)
Wider den Triumph repressiver Egalität: Zur Anatomie gekränkter Herrschaft (Antwort von Stefan Blankertz auf das Buch von Amlinger und Nachtwey, Amazon)
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