Kriegsereignisse: Geopolitik, Kampfmoral, Wirtschaftskraft
… und die Bedeutung von „Wunderwaffen“
von Andreas Tögel
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Im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wird von vielen Kommentatoren die Bedeutung der Lieferung modernster westlicher Waffen an Kiew betont – so als ob der Ausgang des Konflikts primär von den verfügbaren Waffen abhinge.
Auf die Frage nach kriegerischen Ereignissen, in denen überlegene Waffen zum Sieg führten, nennt die künstliche Intelligenz von „Bing“ drei Beispiele: Kompositbögen der Hunnen im vierten und fünften Jahrhundert, Feuerwaffen und Stahlwaffen der Spanier bei der Eroberung großer Teile Amerikas im 16. Jahrhundert und die Atombomben der USA im Zweiten Weltkrieg.
Dass die beiden US-Atombomben den Krieg im Pazifik entschieden haben, ist eine Legende, da das Kaiserreich Japan zum Zeitpunkt ihrer Abwürfe bereits nahezu wehrlos auf dem Boden lag. Die Zerstörung der Infrastruktur durch die strategische US-Bomberflotte und der erfolgreiche Einsatz amerikanischer U-Boote gegen die japanische Handelsflotte haben das Kaiserreich schon vor August 1945 in die Knie gezwungen.
Richtig ist aber, dass Waffentechnik in vielen Konflikten durchaus eine Rolle gespielt hat, auch wenn deren Bedeutung gerne überschätzt wird. Strategie, Kampfmoral und Durchhaltewillen sind in den meisten Fällen wesentlich wichtiger. Anders sind das Debakel der USA in Vietnam und die Niederlage der Sowjets in Afghanistan nicht zu erklären. In beiden Fällen brachten überlegene Waffen eben nicht den Sieg.
Eine Analyse der beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts zeigt, dass Strategie, Geheimdienstaktivitäten, vor allem aber der Wirtschaftskraft erheblich größere Bedeutung zukamen als technisch überlegene Waffen. So war der Sieg im „Blitzkrieg“ der Wehrmacht in Frankreich anno 1940 einem brillanten Angriffsplan, dem in dieser Perfektion erstmalig erfolgten Zusammenspiel der verbundenen Waffen und der hervorragend geführten deutschen Panzertruppe geschuldet. Von einer überlegenen Bewaffnung der deutschen Wehrmacht konnte jedenfalls keine Rede sein. Die 361 französischen Panzer vom Typ „Char B1“ waren allen deutschen Typen hinsichtlich Panzerung und Bewaffnung klar überlegen. Einer dieser Panzer zerstörte am 18. Mai bei Stonne im Alleingang 13 deutsche Panzer der Typen PzKW III und IV und wurde selbst 140-mal getroffen, ohne fatalen Schaden zu nehmen. Den Triumph der Wehrmacht konnten die stärkeren französischen Panzer dennoch nicht verhindern.
Auch an der Ostfront konnte von einer Überlegenheit deutscher Panzer gegen die der Sowjets erst ab 1942 die Rede sein, als der „Tiger“ und ab 1943 auch der „Panther“ zur Verfügung standen. An beiden Fronten bewahrheitete sich indes die Volksweisheit „Viele Hunde sind des Hasen Tod“. Die Sowjets verloren allein vom Typ T-34 44.000 (!) Stück, und damit mehr, als in Deutschland während des gesamten Krieges von den Typen III bis VI produziert wurden. An der Westfront standen nach der Invasion die zwar besseren, aber verhältnismäßig wenigen deutschen Panzer einer zahlenmäßig vielfachen Übermacht der Alliierten (die hauptsächlich mit dem Typ „M4 Sherman“ ausgerüstet waren) gegenüber. Die Präferenz der deutschen Führung für aufwendige Technik zulasten der Massenproduktion einfacherer Systeme erwies sich als entscheidender Fehler. Auch die ab 1944 von der NS-Propaganda gehypten „Wunderwaffen“ hatten keinerlei Einfluss auf den Kriegsverlauf.
Gegenwärtig wird gerätselt, ob und inwieweit der als überlegener Nachfolger des T-90 konzipierte russische Kampfpanzer von Typ T-14 Armata den aktuellen westlichen Typen (Leopard IIA7, M1 Abrams und Challenger 2) überlegen ist. Es handelt sich dabei um ein mit einer 125 Millimeter Glattrohrkanone und einer Verbund- und Reaktivpanzerung ausgerüstetes 48 Tonnen schweres Fahrzeug mit Dreimannbesatzung. Der unbemannte Turm mit Ladeautomatik ist in der Tat eine Neuheit. Die Mannschaft sitzt in einer von der Munition abgetrennten Kapsel im Bug des Panzers, was ihre Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle eines Turmtreffers erhöht.
Nach Berichten westlicher Nachrichtendienste soll das Gerät (noch) technische Probleme aufweisen und aufgrund der hohen Kosten in nur geringen Stückzahlen gefertigt werden. Im Krieg gegen die ukrainischen Streitkräfte hat der T-14 bisher jedenfalls noch keine Rolle gespielt, was die Einschätzung seiner Kampfkraft nicht leichter macht. Nicht anders verhält es sich mit anderen angeblichen Superwaffen der Russen.
Der libertäre deutsche Ökonom Hans-Hermann Hoppe konstatiert, dass marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaften aufgrund ihrer gegenüber planwirtschaftlich organisierten Systemen überlegenen Produktivität mehr Geld in die Entwicklung moderner Waffen stecken und sich leichter kostspielige Kriege leisten können. Die USA, die seit dem Zweiten Weltkrieg in eine größere Zahl militärischer Konflikte involviert waren als jede andere Nation, können für ihre militärische Rüstung bekanntlich mehr ausgeben als die zehn folgenden Militärmächte zusammen. Insofern erscheinen die Sorgen wegen der vom T-14 und von anderen russischen „Wunderwaffen“ wie „Oreschnik“-Hyperschallraketen und „Schkwal“-Hyperkavitationstorpedos ausgehenden Gefahren fragwürdig. Sollte deren Betonung am Ende nur dazu dienen, die Umsätze westlicher Rüstungsbetriebe zu beflügeln (wie weiland die „Dominotheorie“, die 1965 zum US-Engagement in Vietnam beigetragen hat)?
Wie sich der Krieg in der Ukraine entscheidet, wird weniger durch überlegene Waffensysteme als durch geostrategische und ökonomische Überlegungen bestimmt werden. Mit der Inauguration Donald Trumps als 47. Präsident der USA am 20. Januar 2025 wird das Schachspiel jedenfalls neu aufgestellt. Seiner Ankündigung, „den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können“, werden nun Taten folgen müssen. Welche das sind, darauf darf man gespannt sein. Eines kann indes jetzt schon als sicher vorausgesetzt werden: Ohne territoriale Verluste – namentlich der Krim, die 2014 von den Russen annektiert wurde – wird es für die Ukraine nicht abgehen.
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