26. März 2025 14:00

Krieg und Frieden „Mütterchen“ Russland

Müssen wir uns vor ihm fürchten?

von Andreas Tögel

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Bildquelle: Iuliia Timofeeva / Shutterstock Statue „Mutter Heimat ruft“ in Wolgograd: Gedenkstätte an die Schlacht von Stalingrad

In seinem zur Weltliteratur zählenden Roman „Krieg und Frieden“ analysiert Lew Tolstoi nicht nur die Struktur der Gesellschaft Russlands in der Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern beschäftigt sich insbesondere mit der Invasion des Zarenreiches durch die „Grande Armée“ Napoleons im Jahre 1812. Dieser Angriff war nicht der erste, den Russland erlebte und es sollte nicht der letzte bleiben. Schon im 13. Jahrhundert eroberten die Mongolen unter Batu Khan große Teile des Landes und machten es für lange Zeit tributpflichtig. In den Jahren 1610 bis 1612 drangen polnisch-litauische Truppen bis Moskau vor. 1812 standen erneut feindliche Truppen in der Stadt – diesmal allerdings waren es Franzosen unter Napoleon. Den letzten Anlauf unternahm die deutsche Wehrmacht, die im Jahr 1941 bis auf 22 Kilometer an die Hauptstadt des Sowjetreichs herankam. Die durch mangelhafte Ausrüstung und fehlende Reserven bedingte Niederlage der Deutschen vor Moskau war ein Menetekel für den Ausgang des Krieges.

Zu Ausweitungen der russischen Machtsphäre kam es unter Peter dem Großen (1672–1725), er regierte ab 1682, und Katharina der Großen (1729–1796), die über das Zarenreich von 1762 bis zu ihrem Tod herrschte. Unter diesen beiden Regenten kam es zu Gebietsgewinnen, die unter anderem Zugänge zur Ostsee (Gründung von St. Petersburg anno 1703) und zum Schwarzen Meer (Eroberung der Krim 1783) brachten.

Die oben genannten Heimsuchungen von „Mütterchen Russland“ (Матушка Россия), insbesondere jene durch deutsche Truppen ab 1941, die dem Land gewaltige Verluste an Menschen und Material zufügten, prägen das Denken der russischen Eliten bis heute. Deren Sorge um eine neuerliche Invasion aus dem Westen mag zwar unbegründet sein, ist im Lichte der historischen Ereignisse aber zu verstehen. Hinzu kommt, dass in Russland noch immer ein Phänomen existiert, das von der westlichen Intelligenzija seit Jahrzehnten diskreditiert und als Kennzeichen einer „geschlossenen Gesellschaft“, als Ausdruck finsterster Reaktion und Vorstufe des Faschismus denunziert wird: Patriotismus. 

Seit dem 24. Februar 2022 wird von den Russen in der Ukraine – jedenfalls aus Wladimir Putins Sicht – „zurückgeschossen“. Der russische Präsident betrachtet die Übergriffe ukrainischer Milizen auf die russischstämmige Bevölkerung im Donbass und den angeblich vom Westen orchestrierten „Maidan-Putsch“ des Jahres 2014 als eigentlichen Beginn des Krieges, nicht erst die „militärische Spezialoperation“ der russischen Armee ab Februar 2022.

Aus westlicher Sicht handelt es sich um einen flagranten Bruch des Völkerrechts, der durch den Angriff Russlands auf ein souveränes Nachbarland verwirklicht wurde. Übrigens kommt so gut wie keine Nachricht über diesen Konflikt ohne die Verwendung des Begriffs „Angriffskrieg“ aus (ein Terminus, der erst mit dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Eingang in den Sprachgebrauch fand). Interessanterweise fand diese Bezeichnung bei den Nato-Militärinterventionen auf dem Balkan 1999 und im Irak 2003 keine Verwendung, obgleich es sich auch in diesen Fällen um klare Verstöße gegen das Völkerrecht handelte. Für diese Feldzüge gab es kein Uno-Mandat.

Sei es, wie es sei, in den USA gilt – ob es der Politnomenklatura der EU passt oder nicht –: „Ein neuer Sheriff ist in der Stadt“. Und der – Donald Trump – will Frieden in der Ukraine, um sich anderen Angelegenheiten (insbesondere der Herausforderung durch den erstarkenden Rivalen China) zuwenden zu können. Wie US-Verteidigungsminister Hegseth klarstellte, ist das Ansinnen der EU, Wladimir Putin dürfe nicht ungestraft mit seiner Kriegsbeute – dem Donbass und der Krim – davonkommen, reines Wunschdenken. Wer sollte den Russen denn die in den zurückliegenden drei Jahren eroberten Gebiete wieder abjagen, wenn die USA nicht mitspielen? Jedem Realisten leuchtet daher ein, dass die Landkarte nach einem allfälligen Friedensschluss – wann immer es dazu kommen mag – anders aussehen wird als anno 2022. Auch wenn dies Ursula von der Leyen nicht gefällt.

Die Haltung der EU-Nomenklatura ist unbegreiflich, die nicht nur seit drei Jahren eine antirussische Hetzkampagne fährt (Deutschlands Außenministerin Baerbock vor dem Europarat im Januar 2023: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland …“), sondern sich mit ihrer halsstarrigen Opposition gegen die US-Friedenbemühungen für die Ukraine nun auch noch mit den Amerikanern anlegt – den vermutlich einzigen Verbündeten, über den das militärisch impotente Möchtegernimperium verfügt.

Es ist gut, dass Europa seine eigene, von den USA unabhängige Verteidigungsbereitschaft sicherstellen will. Dass Euro-Land sein Militär über Jahrzehnte hin vernachlässigt hat, wurde erkannt. Das soll korrigiert werden, wogegen nichts zu sagen ist. Wozu allerdings soll es gut sein, pausenlos von der „Kriegsfähigkeit gegen Russland“ zu fabulieren? Wie inzwischen klar ist, wird Europa als Industriestandort ohne billige Energielieferungen aus Russland nicht bestehen können. Die Zollpolitik der USA könnte der europäischen Industrie den Rest geben. Daher ist es notwendig, beizeiten zu einem gedeihlichen Modus Vivendi mit Russland zurückzufinden. Die Pflege eines Feindbildes ist dabei sicher nicht hilfreich. Nationen haben bekanntlich keine Freunde, sondern Interessen (© Charles de Gaulle). Dass der zahnlose Pudel namens EU ständig den russischen Bären ankläfft, ist nur mit dem völligen Realitätsverlust zu erklären, dem die politischen Eliten Euro-Lands erlegen sind.

Hysterisch vor angeblich schon demnächst durch Berlin rollenden Russenpanzern zu warnen, ist blanker Unsinn. Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben russische Truppen – außer in Syrien – niemals jenseits deren ehemaligen Grenzen in einem Konflikt gekämpft. Mir ist kein unabhängiger Militärfachmann oder Geostratege bekannt, der einen militärischen Angriff der Russen auf Westeuropa ernsthaft für wahrscheinlich hält oder erklären könnte, welchem Ziel der dienen sollte, zumal die keineswegs großartigen Leistungen der russischen Armee in der Ukraine kaum dazu angetan sind, Wladimir Putin zu weiteren Abenteuern zu ermuntern.

Im Hinblick auf die zerstörten Handelsbeziehungen zwischen der EU und Russland sei an Frédéric Bastiats Mahnung erinnert: „Wenn Waren nicht Grenzen überschreiten, werden es Soldaten tun.“

Russland hat mit sich selbst genug zu tun und wird kaum auf einen großen Krieg mit der Nato scharf sein. Anspielungen auf Gebietserweiterungen durch Zar Peter den Großen, Katharina II. oder Josef Stalin (Letzterem wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ganz Osteuropa von den Westalliierten gegenleistungsfrei in den Rachen geworfen!) haben mit der aktuellen Lage nichts zu tun. Seriöse Belege für russische Kriegsgelüste gegen Westeuropa liegen bis dato jedenfalls nicht vor.      


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