21. Mai 2025 11:00

Künstliche Intelligenz Todeskult mit technisch-wissenschaftlichem „Update“?

Warum Stephen Hawking zu Recht gelacht hätte

von Axel B.C. Krauss drucken

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Bildquelle: Duet PandG / Shutterstock Death Clock: Sagt uns bald eine App, wann wir sterben müssen?

Manchmal treiben Wissenschaft und Technik skurrile Blüten, die mehr an Schamanismus und Hühnerknochenwurf erinnern als an sinnvolle Beiträge zur Verbesserung des menschlichen Lebens. Die angeblich genaue – oder relativ genaue – Voraussage des Todeszeitpunktes gehört jedenfalls nicht dazu. Höchstens für Lebensversicherungen. Stellt sich nur die Frage, welcher Mensch eigentlich genau wissen will, wann seine Zeit auf diesem Erdenrund „schätzungsweise“ – oder von mir aus auch ganz exakt – ablaufen wird.

„Der Tod ist uns gewiss, nur seine Stunde nicht: Diese Menschheitskonstante gerät gerade ins Wanken. KI und Medizintechnik stehen davor, den Todeszeitpunkt jedes Einzelnen zu bestimmen“, hieß es in einem Artikel der „Welt“ vom 19. Mai („Warum wir bald wissen, wann wir sterben müssen“).

Ein Physiker namens Stephen Hawking hätte solche Kapriolen vermutlich mit einem seiner gewohnt ironischen Kommentare bedacht. Schließlich wurde ihm, der schon sehr früh in seinem Leben – in seinen Zwanzigern – von einer degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems namens Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) befallen wurde, von mehreren Ärzten nach dieser Diagnose prognostiziert, er habe nur noch wenige Jahre zu leben. Hawking überlebte die Prognosen der schlauen „Experten“ um mehrere Jahrzehnte. Und leistete in dieser Zeit viele herausragende Arbeiten für die moderne Physik. So muss das: Ihr könnt mich mal, ich lebe einfach weiter.

Doch es wäre natürlich zu einfach, es nur bei einem einzelnen individuellen Beispiel lebens- und vor allem beeindruckend geisteszäher Resilienz gegenüber Spätausläufern eines durchaus fragwürdigen Weltbildes zu belassen, das glaubt, alles, aber auch wirklich alles bei Vorliegen ausreichend umfangreicher Daten hochexakt vorauskalkulieren zu können. Denn das Beispiel Hawkings kann genau dafür stehen: für eine Art von Wissenschaft, die meint, endgültige Antworten auf Fragen zu haben, die durch ein Monokel gestellt wurden – zumeist ein mechanistisch-deterministisches oder ein orthodox eingetrübtes. Tut uns leid, du hast nicht mehr lange zu leben. Ach ja?

Wenn also nun behauptet wird, Hard- und Software – Technik und KI – stünden davor, den Todeszeitpunkt jedes einzelnen Menschen bestimmen zu können, so fällt das natürlich eher in die Kategorie absurder „wissenschaftlicher“ Selbstüberhöhung und -verherrlichung, die mit stolz geschwellter Brust an den zahllosen Faktoren, die auf die Lebensdauer eines Menschen einwirken können, einfach regelrecht vorbeipoltert. Eine KI soll also genauestens berechnen können, welche Entscheidungen ein Mensch in seinem Leben treffen kann, die darauf Einfluss haben können? Sie zieht sämtliche inneren und äußeren Einflüsse in Betracht? Lückenlos? Sie kann exakt bestimmen, wie sich eine einschneidende Veränderung auf Bewusstseinsebene – im Denken eines Menschen, in seiner Selbstwahrnehmung und seiner ganzen Lebenseinstellung – auf seinen angeblich berechenbaren Todeszeitpunkt auswirkt? Nichts für ungut: Das ist nun wirklich albern.

Nicht nur, weil die modernen Wissenschaften – obwohl sich diese Einstellung langsam glücklicherweise zu ändern scheint – die Welt viel zu lange aus der Froschperspektive eines materialistischen Reduktionismus (oder auch materiellen Monismus) sah und dabei den immensen Einfluss, den das Bewusstsein ausüben kann, oft arrogant belächelte –, um sich in beeindruckenden Fällen seiner Wirkmächtigkeit darüber zu wundern, wieso die Welt sich nicht in einem rationalistisch-materialistischen Setzkasten unterbringen lässt. Oder wie Werner Heisenberg es einmal formulierte: Warum sollte sich die Wirklichkeit darum scheren, für menschliche Gehirne erklärbar zu sein?

Vor allem stellt sich natürlich die Sinnfrage: Was hätte man denn nun davon, das genau zu wissen? Ich stelle mir ein solches Leben sehr deprimierend und trostlos vor. Mehr noch: Auf mich wirkt das ehrlich gesagt wie eine äußerst ungesunde Todesfixierung mit einem „wissenschaftlich-technischen Update“. Hallo, mein Name ist Lieschen Müller und ich würde gerne noch einen Roman schreiben, aber das kann ich knicken, da mir die KI gesagt hat, dass mir morgen um 14:37 Uhr Mitteleuropäischer Zeit der Löffel aus der Hand fallen wird.

Ich rieche hier wieder was, aber das ist vielleicht nur eine paranoide Verschwörungsphantasie: Es wird ja schon seit einiger Zeit gemunkelt, genau das sei die Absicht hinter diesem ganzen hyperbeschleunigten „Fortschritts“-Kult. Nämlich den Menschen möglichst viele Entscheidungen aus der Hand zu nehmen und alles von einem künstlichen Siliziumgott bestimmen zu lassen – bis hin zur verfügbaren Lebenszeit. Selber leben ist out, von Experten gelebt werden in.

Bis nächste Woche.


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