Top Spin: Zitat der Woche: „Wir haben immer noch diese Probleme mit dem Stadtbild.“
Ein Spaziergang
von David Andres drucken
Eine berufliche Verpflichtung lotste mich dieser Tage in meine Heimatstadt. Ich besuche diesen Ort nur selten, da die Flut der dort mit jeder Ecke verbundenen Erinnerungen je nach Tagesform schwerer verdaulich ist als ein Bruichladdich Octomore, der vornehmlich aus Rauch besteht. Nach dem beruflichen Ereignis begab ich mich am Abend dennoch in aller Ruhe auf einen Spaziergang durch die lang gestreckte Fußgängerzone, um die Veränderung des Stadtbilds zu betrachten. Obschon ein Freitagabend, lungerten nur wenige jener Gruppen herum, die Friedrich Merz mit seiner „Stadtbild“-Bemerkung umschrieben hat und die Richard David Precht mit der Wendung umschreibt, es handele sich um Männer „ohne einen vernünftigen Plan für den Tag“. Männer, die ganz genau im Blick zu behalten, für die eigene Sicherheit und die seiner Lieben nie verkehrt sein kann.
Jeder im Land weiß, was Friedrich Merz mit seiner Stadtbildbemerkung und der wenige Tage nachgeschobenen Dreingabe „Fragen Sie Ihre Kinder, fragen Sie Ihre Töchter“ gemeint hat. Das absichtliche Missverstehen der Berufsempörten sowie des eigenen Vizekanzlers gehört zum Affentheater der Bundesrepublik in der 25. Staffel des neuen Jahrtausends, das wir hier nicht weiter thematisieren müssen. Mein Interesse bezüglich des Stadtbilds meiner lange nicht besuchten Heimatstadt galt vor allem der Veränderung der Ladenlokale, der Geschäfte und der Gebäudenutzung.
Von der Architektur selbst war nahezu alles erhalten geblieben. Was sich in (!) den teils zweckmäßigen Nachkriegsbauten und den wenigen historischen (oder historisch nachempfundenen) Häuserfronten allerdings so tummelte, hatte sich massiv verändert. Kannte ich meine Stadt aus Kindheit und Jugend noch als ein Konglomerat liebevoll geführter individueller Einzelhändler, das nur sporadisch durch Ketten wie Quelle, C&A, Douglas oder den obligatorischen Kaufhof durchbrochen wurde, hat sich das Verhältnis mittlerweile wie in nahezu allen deutschen Städten umgekehrt. Man ist schon froh, wenigstens hier und da eine grundsolide Kette mittlerer Qualität zu erspähen. Das Bild dominieren auch hier Spielhallen, Dönerbuden, 1-Euro-Läden, Gebraucht-Elektronik-Händler und die eine oder andere Shisha-Bar. Viele Ladenlokale stehen leer. Interessant ist allerdings zu beobachten, wer von den hochwertigen Einzelhändlern sich gehalten hat. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen.
Erstens: Der Waffenhändler, der seit Jahrzehnten den Bedarf für die Schützen, die Jagd und die Vereinspokale deckt. Jede Stadt mit einer bürgerlichen Tradition kennt ein solches Geschäft, in dem ausreichend Stammkunden ein- und ausgehen, da sie Waffen, Kleidung und Trophäen anfassen wollen und diese Käufe nicht ins Netz auslagern können.
Zweitens: Die Buchhändlerin, die ihre Regalmeter nicht für die übliche Bestsellerware nutzt und die vor allem jede Familie so gut kennt, dass sie den Kunden zu jedem Geschenkanlass das passende Buch für den gewünschten Empfänger empfehlen kann.
Drittens: Der unabhängige Bäcker, der seine kleinen Ladenlokale nur in dieser Stadt betreibt und bei dem sonntags seine Brötchen zu holen für viele eine innere Verpflichtung darstellt. Davon abgesehen, nimmt er jede spezielle Großbestellung für Trauerfeiern, Hochzeiten und Frühschoppen immer gern entgegen.
Linksliberalen fällt zur Bewahrung einer solchen Ladenkultur im Stadtbild nur ein, neue Subventionen zu errichten, an deren Tropf sich dann auch all jene Kaufleute hängen werden, für deren Angebot es gar keinen Bedarf gibt. Der Waffenhändler, die Buchhändlerin und der Traditionsbäcker hingegen kämpfen nicht jeden Tag, weil sie keine Kundschaft hätten. Libertäre wissen: Wer so ein Stadtbild bewahren möchte, garantiert den Einzelhändlern maximale Beinfreiheit durch minimale oder am besten gar keine Bürokratie sowie Steuerlast. Er reißt die gesetzlichen Vorgaben und Bestimmungen für energetische Gebäudesanierung ein, sorgt für günstigen Strom und für niedrige Lohnnebenkosten.
Was die Rudel der jungen Männer „ohne einen vernünftigen Plan für den Tag“ angeht, dreht man aus freiheitlicher Sicht schlichtweg jeden Geldhahn zu, der sie und ihre Sippe initial hergelockt hat. Wandern sie danach nicht aus, sondern in den kriminellen Untergrund ab, entzieht man diesem teils seine gesamte Grundlage, indem man beispielsweise alle Drogen legalisiert und so selbstverständlich in hoher und sauberer Qualität zur Verfügung stellt, wie es mit dem Alkohol und den Zigaretten gang und gäbe ist. Den öffentlichen Raum sichert man durch zuverlässige, private Sicherheitsdienste im Auftrag der jeweiligen Anrainer, die sich zwecks Buchung dieser Firmen zusammenschließen können. Staatlicherseits lockert man alle Gesetze, die dazu führen, dass in Notwehr ausgeübte Gewalt vor Gericht zu einer Täter-Opfer-Umkehr führen kann – und gestaltet das Recht stattdessen so aus, dass jeder Täter damit rechnen muss, seinen Angriff im Zweifel sogar mit dem Leben zu bezahlen.
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich voller Nostalgie und Schwermut aus der neuen Innenstadt meiner Vergangenheit zum Auto zurückkehrte. Bevor ich losfuhr, las ich ein paar persönliche Nachrichten und konnte mal wieder nicht anders, als ein paar Minuten durch die sozialen Medien zu scrollen, um dort auf ein Posting der noch recht jungen „Allianz für Freiheit“ zu stoßen. „Eigentlich kann man die Demonstration von und mit Luisa Neubauer gegen die Stadtbild-Aussage von Friedrich Merz auf einen Nenner bringen“, schreibt dort der Allianz-Schatzmeister und -Vorstand Bastian Hanauer, „es waren nicht, wie von Neubauer proklamiert, 40 Millionen Töchter, sondern nur 40 Millionärs-Töchter.“ Und dass diese keinen Sinn für die Lebenswirklichkeit von Fußgängerzonen vor und hinter den Ladentüren haben, liegt auf der Hand.
Quellen:
Podcast: Merz und das „Stadtbild“: Angriff auf die AfD? | Lanz & Precht, Folge 216 (Youtube)
Stadtbild-Aussage: Merz legt nach! „Fragen Sie Ihre Kinder, fragen Sie Ihre Töchter“ (Welt)
Allianz für Freiheit (Keine 40 Millionen Töchter) (Instagram)
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