Wirtschaftspolitik: Rathenaus Verblendung
Wie wenig man wirklich steuern kann
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
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In seinem aktuellen Buch über die Wirtschaft und das Unentgeltliche prägt Professor Guido Hülsmann den schönen Begriff der „Rathenau-Verblendung“ (Seite 428), benannt nach Walther Rathenau (1867–1922), dem großen deutschen Industriellen, Schriftsteller und Politiker, der mit einem Blick auf das große Ganze nach Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme suchte.
Als Sohn des Industriellen Emil Rathenau, der die AEG (Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft) gegründet hatte, trat Walther nur widerwillig in seines Vaters Fußstapfen. In jungen Jahren fühlte sich Rathenau junior der Kunst zugetan. Doch Karriere konnte er hier nicht machen. In den 1890er Jahren wurde auch er zum Industriellen und baute die ersten großangelegten Elektrolyse-Werke in Bitterfeld und Rheinfelden. Er war überaus erfolgreich und prägte die deutsche Chemieindustrie nachhaltig. Es ist kein Wunder, dass gerade er der Verblendung verfiel, auf die Hülsmann in seinem Buch hinweist. Künstler, insbesondere die gescheiterten, genauso wie erfolgreiche Industrielle tendieren dazu, ihre eigenen schöpferischen und gestalterischen Fähigkeiten zu überschätzen. In politischen Fragen sind sie tendenziell der Zentralplanung zugeneigt, denn sowohl Kunstwerke als auch Großbetriebe folgen in der Regel einem Plan. Sie werden konzipiert, entworfen und gelenkt. Der Künstler ist Schöpfer des Kunstwerks und der Industrielle ist Lenker und Leiter des Betriebs.
Dies kann zu Selbstüberschätzung führen. Hülsmann schreibt: „Die Führungskräfte großer Organisationen können einer besonderen Art von Verblendung erliegen, die wir die Rathenau-Verblendung nennen wollen, in Anlehnung an jenen großen deutschen Industriellen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der sozialistischen Planwirtschaft geliebäugelt hatte. Die Rathenau-Verblendung besteht darin, zwischen der privatwirtschaftlichen Planung sehr großer Betriebe und der Zentralplanwirtschaft ganzer Volkswirtschaften nur einen graduellen Unterschied sehen zu wollen. In der Tat liegt hier jedoch ein kategorialer Unterschied vor. Rationale Wirtschaftsplanung vollzieht sich stets innerhalb einer auf Privateigentum und Geldtausch beruhenden Ordnung. Es ist diese Ordnung, die die zahlreichen Einzelpläne orientiert und miteinander koordiniert. Ludwig von Mises [„Die Gemeinwirtschaft“ von 1922] hat uns gelehrt, dass die Rationalität des Wirtschaftens immer und überall in einer einzelwirtschaftlichen Perspektive verwurzelt ist und die privatrechtliche Gesellschaftsordnung voraussetzt. Dagegen besteht die sozialistische Grundidee gerade darin, jene übergeordnete Ordnung abzuschaffen und sie durch eine Kopfgeburt zu ersetzen. Aber wer das unternimmt, sägt den Ast ab, auf dem er sitzt. Statt das rationale Wirtschaften zu erleichtern, macht er es unmöglich.“
In diesem Zusammenhang macht Hülsmann eine äußerst interessante Beobachtung. Er stellt fest, dass in den letzten 70 Jahren „die großen US-amerikanischen Privatstiftungen die wichtigsten Triebkräfte des Sozialismus“ waren, wichtiger sogar noch als „die staatlichen Bürokratien“. Sie unterliegen genau dieser Verblendung: „Auch sie sägen sehr genüsslich am kapitalistischen Ast, der uns alle trägt. Sie haben damit sowohl persönliche Großzügigkeit als auch die positiven Nebeneffekte des Marktaustauschs untergraben.“
Da es sich um private Stiftungen handelt, liegt der Verdacht nahe, dass die Quelle des Übels in der Privatwirtschaft zu finden ist. Und natürlich sind alle menschlichen Verfehlungen immer die Verfehlungen von Individuen. Die Frage ist aber, welche institutionellen Rahmenbedingungen die persönlichen Verfehlungen und deren Auswirkungen verstärken. Hier argumentiert Hülsmann, dass die tatsächliche Ursache im staatlichen Interventionismus zu finden sei und nicht in der Marktwirtschaft: „Die Ursache für diese Entwicklung ist nicht in der natürlichen Funktionsweise der freien Marktwirtschaft zu sehen, sondern im permissiven Interventionismus – insbesondere im monetären Interventionismus –, in Verbindung mit den speziellen Steuerregelungen für philanthropische Organisationen. Dies sind die Kräfte, die künstlich große Vermögen in den Händen von Sozialisten geschaffen haben.“
Und nur weniges ist gefährlicher als große finanzielle Mittel in den Händen von Menschen mit einer Rathenau-Verblendung, also Menschen mit Visionen über eine neue Sozialordnung, die man von Grund auf neu erschaffen muss, und die sich zudem anmaßen, diesen Entwurf umsetzen zu können. Ihnen kann man nur immer wieder die weisen Worte Hayeks zurufen: „Die merkwürdige Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften besteht darin, den Menschen zu zeigen, wie wenig sie wirklich über das wissen, was sie sich einbilden, gestalten zu können. Für den naiven Verstand, der sich Ordnung nur als das Produkt bewusster Anordnung vorstellen kann, mag es absurd erscheinen, dass unter komplexen Bedingungen Ordnung und Anpassung an das Unbekannte durch Dezentralisierung von Entscheidungen effektiver erreicht werden können und dass eine Aufteilung der Zuständigkeiten die Möglichkeit einer Gesamtordnung tatsächlich erweitert“ (eigene Übersetzung).
Guido Hülsmann (2023): Die Wirtschaft und das Unentgeltliche: Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat
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